Dienstag, 10. April 2012

Auferstehung

Ich hatte ja 2010 über Kevin Russel hier geschrieben, über seinen traurigen Zustand. Und nun können wir auf der onkelz Page nun folgendes über Ihn Lesen:

"Welch´ Freude!
Am Sonntag haben Pe und ich Kevin in der Therapie besuchen und mehrere Stunden mit ihm sprechen dürfen. Von dieser Begegnung möchte ich euch gerne erzählen:

Eins gleich vorweg: Es geht ihm ausgesprochen gut. Er hat ordentlich Gewicht zugelegt, die Hepatitis ruht und das Gesicht ist deshalb nicht gelb gefärbt, die Haare werden länger und – ganz wichtig – er lächelt wieder. Seine Gesichtszüge haben so gar nichts mehr mit der Person gemeinsam, die ich zuletzt gesehen habe und ich freue mich, nach so vielen Jahren den Kevin in den Arm nehmen zu dürfen, den ich so lange vermisst habe. Ihr könnt euch also vorstellen, dass es für uns drei eine ziemlich intensive Begegnung war.
Es ist ja nicht so, dass ich Kevin zum ersten Mal nach einem Entzug zu sehen bekommen habe. Der Besuch im Therapiezentrum hat mich trotzdem in vielerlei Hinsicht überrascht.
Überrascht hat mich: Kevins positive Energie, seine lebensbejahende Ausstrahlung, sein gesundheitlicher Zustand generell und die Worte, mit denen er meine Eindrücke bestätigte. Ich glaube, ich habe Kevin das erste Mal seit über 20 Jahren nüchtern gesehen. Wie das war lässt sich nur schwer beschreiben… Man möchte den Moment in Stein meißeln. Endlich!

Es ist tragisch, dass es erst eines schweren Unglücks bedurfte – nicht das erste, hoffentlich aber das letzte Mal – um ihm die Gelegenheit zu geben, sich aus den Klauen der Drogen zu befreien. Tragisch, dass es der Gefangenschaft bedarf, um sich aus seinem Gefängnis zu befreien.
Ohne den Zwangsentzug im Knast, so sagte Kevin selbst, hätte er nie aufgehört, Drogen zu nehmen. Für ihn war es Alltag, Normalität und ganz natürlich, „stoned“ zu sein. Er hatte sein eigenes Handeln schon lange nicht mehr kontrollieren können und hatte weder die Kraft, noch die Motivation, daran etwas zu ändern. Er sah keine Notwendigkeit, seinen Drogenkonsum zu beenden. Die Frage danach war absurd, seine Entscheidung längst zu Gunsten der Drogen gefallen. Krank, verwirrt und vor sich hin vegetierend, alles verloren, sich selbst eingeschlossen. Der Wahnsinn legte die Klauen um seinen Hals und drückte immer weiter zu. Kevin war zuletzt definitiv nicht mehr er selbst, ganz sicher nicht zurechnungsfähig und von niemandem mehr zu retten. 25 Jahre Drogenexzess hinterließen ihre Spuren auf Körper, Geist und Seele. Dass er noch lebt, sagen wir besser: überlebt hat, ist ein medizinisches Wunder, glaubt mir.
Und nun? Jetzt treffe ich auf einen Kevin, der glücklich wirkt, befreit, der reflektiert und neuen Lebensmut fasst, einen Kevin, der büßt und begreift, was er getan und oftmals fälschlicherweise nicht getan hat. Kevin spricht von Demut und Reue und sogar von der Lust am Leben. Worte, die ich aus seinem Mund so noch nicht gehört habe. Er will etwas zurückgeben, sagt er, fühle sich endlich in der Lage, dies zu tun, empfindet seinen jetzigen Zustand als Geschenk und das Leben endlich doch noch als lebenswert. Wenn er, der selbst nicht mehr daran geglaubt hatte, jemals „Nein“ zu Drogen und Alkohol sagen zu können, wenn er das kann, dann kann das jeder. Das möchte er, so glaube ich, der Welt gerne mitteilen.
Warum ich das alles schreibe? Weil ich mich freue. Ich musste mich selbst kneifen und die Kinnlade nach oben klappen, um zu begreifen, welche Chance sich hier für Kevin, seine Familie, seine Freunde und uns alle auftut.
Wenn Kevin das durchzieht, clean bleibt und es schaffen sollte, seine Vorsätze wahr werden zu lassen, sie nicht nur graue Vollzugs- und Therapie-Theorie sind, dann muss ich nicht mehr an Wunder glauben, dann hab ich eins gesehen. Dass Kevin überhaupt noch am Leben ist grenzt an ein anatomisches Wunder, da scheint es jemand wirklich gut mit ihm zu meinen. Ich meine, wie viele Leben hat der Mann und warum? Meine spirituelle Seite klatscht freudig erregt in die Hände und behauptet, das alles ist Bestimmung und musste so weit kommen. Vielleicht deshalb, dass Kevin wie ein Phönix aus der Asche emporsteigt um die wichtigste aller für ihn vorgesehenen Aufgaben erfüllen zu können. Welche das ist, kann ich nur erahnen, Kevin weiß es vielleicht schon.
Zu schön um nicht wahr zu sein, oder?
Ich weiß, dies ist nur eine Momentaufnahme. Der schwierigere Teil kommt erst noch. In Freiheit und unter „normalen“ Lebensbedingungen wird Kevin täglich beweisen müssen, dass er sein Leben wieder im Griff hat, dass er die Kontrolle über sich und sein Handeln zurückerlangt hat. Kevin weiß, dass er die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann, aber durchaus in der Lage ist, die Zukunft positiv zu gestalten. Auch, wenn es bedeutet, in der Gegenwart mit seinen Dämonen kämpfen zu müssen. Sollte er diesen Kampf am Ende doch noch gewinnen und dabei etwas lernen, so könnte er zu einem unschätzbaren Beispiel für uns alle werden.
Ich trete an dieser Stelle einmal auf die Euphoriebremse. Ja, ich gestehe, dass ich nach Entzügen schon so einiges an Beteuerungen aus Kevins Mund gehört habe. ABER MANCHES EBEN AUCH NOCH NICHT. Deshalb genieße ich den Augenblick, freue mich mit Kevin über das Geschenk der zurückgewonnen Klarheit und aller daraus entstehenden Möglichkeiten. Ich hebe ein imaginäres Tässchen Tee, proste euch zu und stelle mir vor, wie Kevin im freiwilligen Sozialen Dienst mit Drogenabhängigen in Therapiestätten und Hinterhöfen spricht.
Träumen wird man ja noch dürfen.
Euer
Stephan

P.S.: Dass ich nicht halluziniert habe belegt der Text von Pe, der es schafft, in wenigen Worten das zu sagen, wofür ich einen Roman schreiben muss, haha.
Kevin hat den Durchblick wieder erlangt und ist besser drauf als
jemals zuvor. Ein kleines Wunder! Es ist eine Freude ihn zu erleben.
Unglaublich was alles möglich ist!!

Grüße, Pe"

Haben wir es hier mit der Auferstehung eines Gottes zu tun??????
Auf jeden Fall wünsche ich dir Kevin alles Gute für deinen Weg.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen